Beim Verlust an Hirnleistungsfähigkeiten (z. B. Alzheimer oder Mulitinfarktdemenz) begegnen wir einer etwas anderen Situation als bei den rein körperlichen
Einschränkungen. Von allen Einschränkungen wird der Verlust an Hirnleistungsfähigkeiten (Demenz) als besonders belastend empfunden, da gerade dieser Bereich im Bewußtsein der Gesellschaft erst den
Menschen in seiner Einzigartigkeit ausmacht.
Weil das Gehirn nicht mehr in der Lage ist, sich augenblickliches Erleben einzuprägen, kommt es zu Desorientiertheit zur örtlichen, räumlichen und situativen Gegenwart. Selbst der Bezug zu
Angehörigen geht sehr oft auf dramatische Weise verloren. Die Wirklichkeit dringt nicht mehr ins Bewusstsein. Neue Informationen zur Lebensgestaltung können nicht mehr abgerufen und genutzt
werden.
Der Betroffene nimmt wohl seine Veränderung wahr, aber er überträgt sie auf seine Umgebung, die für ihn scheinbar zur Bedrohung wird, ihn auf einmal beobachtet, kritisiert und verbessert.
Er bekommt Angst, unterzugehen und setzt aus einem inneren Reflex unbewusste Schutzmechanismen in Gang, um einer Bloßstellung zu entgehen. Da sind schnell die Angehörigen oder die professionell
Pflegenden Feinde, die ihm schaden wollen.
Die schlimmste Erfahrung wird der Verlust des Wissens um das eigen Selbst, Fakten aus seiner Biographie, wenn das Bewusstsein von Fähigkeiten, Schwächen und Empfindsamkeiten der eigenen Person
sich auflösen und die eigene Identität sich allmählich verflüchtigt.
Trotz des Wissens um diese Entwicklung kann noch viel getan werden, die Folgen der Demenz zu lindern und dem Betroffenen ein relatives Wohlbefinden zu vermitteln.
Rahmenbedingungen
Grundvoraussetzung für den Betroffenen ist ein harmonisches, ausgeglichenes Umfeld. Im Pflegeheim ist hierzu eine heimelige Atmosphäre zu
schaffen, z. B. durch die Verwendung von Naturhölzern und weichen Farben. Ein hoher Wiedererkennungswert wird dadurch geschaffen, dass jedes Bewohnerzimmer eine unterschiedliche, einmalige
Dekorgestaltung aufweist.
Das nach dem Personalschlüssel von Baden-Württemberg genehmigte Personal ist nicht einmal ausreichend, die grundpflegerischen Aufgaben entsprechend den
Forderungen des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI, § 28, Abs. 4 a. F.) zu erfüllen. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz lassen sich erst recht nicht
angemessen berücksichtigen. Das ist in der Fachwelt allgemein bekannt. Dennoch wird auf politischer Seite nichts unternommen, diesen Mißstand abzubauen.
Mit mehreren unterschiedlichen Mitteln kann es im Pflegeheim gelingen, so auf die Bedürfnisse der Bewohner einzugehen, daß die Forderungen des SGB XI erfüllt werden
können. Hierzu kann es erforderlich werden, mehr Mitarbeiter zu beschäftigen als die derzeit von den Pflegekassen finanzierten Personalstellen.
Nach Auskunft eines Mitarbeiters der zuständigen Pflegekasse wird sich an dieser Situation auch in der Zukunft nichts Wesentliches ändern. Bemühungen um eine bessere
Personalausstattung sollten jedoch aufrechterhalten bleiben.
Aktivierung statt Ruhigstellung
Um der besonderen Situation von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz gerecht werden zu können, sind verschiedene Maßnahmen erforderlich.
Maßnahmen
Dem Betroffenen wird die Ausführung jener Tätigkeiten überlassen, die er noch selbständig verrichten kann. Er wird hierin vom Pflegepersonal begleitet. Ist ersichtlich, dass er weitere
Fähigkeiten zurück gewinnen kann, wird er darin angeleitet und unterstützt. Dies bezieht sich auf die Pflege und Wahrnehmung der eigenen Person (Körperpflege) wie auch auf die Gestaltung seiner
Umgebung (z. B. Richten des Bettes, Einräumen seiner gereinigten Kleidung in seinen Schrank, Anfertigung von Bildern und Kollagen, usw.)
In den Gemeinschaftsräumen kann sich eine feste Sitzordnung herausbilden, mit der die Kontinuität im öffentlichen Bereich gesichert wird. Warum nicht auch mit individuellen Tischsets, auf denen
sich die Betroffenen bei eigenen Aktivitäten persönlich wieder finden, einsetzen? Bei Gemeinschaftsveranstaltungen immer wieder den Pflegebedürftigen einladen, sich zu beteiligen
(z. B. Spaziergänge, Feste, Aktivitäten im Ort, Sport und Spiel, usw.).
Singen und Musizieren
Großer Wert sollte auf Singen und Musizieren gelegt werden. Im Hause Maranatha hat sich der Einsatz von Gesang und Musik für das Wohlbefinden von
Pflegebedürftigen bewährt. Diese Mittel sind besonders geeignet, auch Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz zu erreichen und ihr Leben hell zu gestalten. Hierbei ist darauf zu achten, dass
aggressive Musik möglichst vermieden wird, da sie das Befinden negativ beeinflusst.
Daß hierbei die Pflegebedürftigen mit einbezogen werden und ihnen nicht nur irgendwelche "Konserven" (Fernsehen, Radio, Tonband, CD) vorgesetzt werden, sollte selbstverständlich sein.
Hierbei werden alle Fähigkeiten der Pflegebedürftigen in Anspruch genommen.
So beteiligen sie sich an musikalischen Veranstaltungen nicht nur mit zuhören, sondern auch im Mitsingen und Mitmusizieren. Als Musikinstrumente können dienen Mundharmonika, Flöte, Gitarre,
Akkordeon, Tambourin, Rumbarassel, Waschbrett und Kamm. Jeder, der will, darf sich ein Musikinstrument aussuchen.
Ein strukturierter Tagesablauf
Nicht nur die Einnahme der Speisen findet zu festen Zeiten statt, sondern auch die Verteilung der Kioskartikel, der Nachmittagskaffee, die Gottesdienste,
Gymnastik- und Vorlesestunden oder Musiknachmittage. Dieser strukturierte Tagesablauf trägt zu einer besseren Orientierung bei und schafft eine
Atmosphäre der Geborgenheit.
Demenz ist eine Krankheit des Vergessens!
Ist Demenz eine Krankheit des Vergessens?
Kann es sein, dass der Ansatz für diese Aussage nicht zutreffend ist? Kommen wir aus diesem Grunde nicht mit der Lebenswirklichkeit des Alters, die sich in dem äußert, was wir Demenz nennen,
zurecht?
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass sich der Mensch spätestens im Alter in vielerlei Weise verändert. Ausschließlich in Richtung Verlust von Fähigkeiten.
Die Sehkraft nimmt ab und wir für eine gewisse Zeit durch eine Brille kompensiert.
Die Hörfähigkeit nimmt ab und wird für eine gewisse Zeit durch Hörgeräte kompensiert.
Die Gehfähigkeit nimmt ab und wird durch Gehstock, Rollator oder Rollstuhl kompensiert.
Das Herz will nicht mehr so richtig, die Leistungsfähigkeit nimmt ab und wird für eine gewisse Zeit durch Medikamente kompensiert.
Ja, auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns nimmt ab und wird – durch nichts kompensiert.
All dies sind sichtbare Zeichen der Vergänglichkeit des Menschen. Wir beobachten, dass den verschiedenen Zeichen des Alters nicht die gleiche Tragik innewohnt, die man dem Verlust der Hirnleistung
beimisst. Genauso wenig, wie die anderen bereits aufgezählten Zeichen des Alters, des Vergehens aufzuhalten sind, ist auch die Demenz aufzuhalten. Es wird aber offenkundig, wie hilflos der Mensch im
Grunde ist.
Altern mit allen seinen Begleiterscheinungen ist für uns schwer zu ertragen. So drehen sich viele Diskussionen und Forschungen darum, dies alles in den Griff zu bekommen. Es will jedoch nicht
gelingen.
Kann es sein, dass Demenz als Krankheit bezeichnet wird, um der Hilflosigkeit gegenüber dem Vergehen begegnen zu können? Schließlich birgt Krankheit ja die Möglichkeit der Heilung in
sich.
"Oh nutze der Jugend frohe stunden
sie wissen nichts von Wiederkehr
einmal entschlüpft - einmal entschwunden
zurück kehrt keine Jugend mehr."
Außer den bereits genannten Aktivitäten der persönlichen Lebensführung, die entsprechend der individuellen Fähigkeiten wahrgenommen werden können, stehen weitere Aktivitäten zur
Verfügung wie etwa:
- Malen und Basteln
- Backen – vor allem zu Weihnachten
- Fotoalben anschauen
- Brett- und Kreisspiele
- Alte Fernsehfilme anschauen
- Erzählnachmittage
Auf die individuelle Erkrankung ausgerichtet können Koordinations-, Wortfindungs-, Gedächtnis- und Merkfähigkeitstraining, Toilettentraining bei Harninkontinenz und Bewegungstherapie,
auch in Zusammenarbeit mit externen Diensten, angeboten werden.
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